Gemütlich geht es heute zu im Kreuzberger Weinberg in Berlin. Daniel Mayer hat eingeladen, ihm bei der Rebpflege zu helfen. Traubenzone entblättern, anbinden und einstecken – eigentlich wäre auch eine Spritzung fällig, aber das wird heute nichts: für den Abend sind Gewitter angesagt. Gespritzt wird wie in einem Bio-Betrieb nur mit Natur-Präparaten. „Anders ginge das hier inmitten der Häuser und Wohnungen nicht – die Leute wollen bei dem schönen Wetter auf dem Balkon sitzen. Ich muss hier immer auf die Akzeptanz im Umfeld achten“ sagt Mayer, der die Pflege der knapp 300 Rebstöcke vor knapp zwei Jahren übernommen hat.
Mayer hat Weinbau von der Pike auf gelernt: der 39 Jahre alte Badener machte eine Winzerlehre bei Gregor und Thomas Schätzle in Oberbergen im Kaiserstuhl, studierte dann in Geisenheim Weinbau und Kellertechnik und war bei HAWESKO als Einkäufer für die Pflege und den Ausbau des Deutschwein Sortimentes zuständig. Heute arbeitet er unter anderem für einen Berliner Weinhändler.
Alles ehrenamtlich
„Die Arbeit hier ist quasi ehrenamtlich – es gibt eine Aufwandsentschädigung vom Bezirk – der ja der Eigentümer ist. Alleine würde ich das aber so nebenher nicht schaffen. Zum Glück hat sich hier eine kleine Truppe zusammengefunden, die mir ab und an bei der Arbeit hilft“ erzählt er. Der Weinberg an der Methfesselstrasse ist zwar klein, aber er verlangt die gleiche Aufmerksamkeit wie ein großer. Von Bodenarbeiten über den Rebschnitt bis hin zur Pflege während der Vegetationsperiode. Diese Jahr wurden neue Reben gepflanzt – es wurde komplett auf Riesling und Spätburgunder umgestellt – Portugieser und Dornfelder wurden entfernt. Mayer will im nächsten Jahr auf etwa 600 Stöcke kommen – sonst lohnt der ganze Aufwand nicht.
Älteste Reb-Anlage in der Hauptstadt
Letztes Jahr gab es etwa 500 Flaschen Weisswein und 250 Rotwein – halbe Flaschen versteht sich. Die Trauben werden nach der Ernte nach Wiesbaden (Riesling) und Ingelheim (Spätburgunder) gebracht und dort ausgebaut. Denn der Rebberg ist durch die Partnerschaft des Bezirks Kreuzberg mit diesen beiden Städten entstanden. „Es kann sein, daß Willy Brandt mit schuld ist an der Entstehung unseres Weinberges“ sagt Mayer „während seiner Regierungszeit in Berlin kam die Partnerschaft zwischen Wiesbaden und Kreuzberg zustande. Solche Partnerschaften sollten im kalten Krieg Berlin näher an Westdeutschland heranrücken…“
Es gibt noch eine Reihe anderer Weinanlagen in Berlin – die Weinkontrolle hat dazu eine eigene Webseite – aber die Reben in Kreuzberg sind wohl die ältesten. Die ersten wurden 1968 gepflanzt. Außerdem wurde bereits vom 15. bis zum 18. Jahrhundert auf dem Gelände des 66 Meter hohen Kreuzberges Wein angebaut. Darauf weisen die alten Bezeichnungen „Tempelhofer Berg“ bzw. „Götzescher Weinberg“ hin.
An der Wiege des Computerzeitalters
„Es gibt noch ein anderes Kuriosum: unser Weinberg steht dort, wo das Computerzeitalter begann. Das dürfte weltweit einzigartig sein“ meint Mayer. Auf dem Gelände des Rebbberges stand früher die Werkstatt Konrad Zuses, hier wurden die legendären Z1 bis Z4 gebaut. Zuse selbst wohnte auf der anderen Straßenseite, worauf heute eine Gedenktafel hinweist. Auch eine Weinkönigin gibt es – die wird von den Grünen gewählt und war bisher immer ein Mann.
Weinbau am Limit ?
Was gibt es zu beachten, wenn man Weinbau in Kreuzberg betreiben will? Es ist, obwohl weit im Osten, nicht besonders kalt. 2011 erfroren weiter draußen in einer Anlage in Neukölln etliche Stöcke – in der Stadt zwischen den Häusern in Kreuzberg ist es immer 1 – 2 Grad wärmer. Das ist ein Vorteil – gleichzeitig sind die Häuser ringsherum auch ein Nachteil: während der Traubenreife gibt es jede Menge Wespen. „Das habe ich woanders so noch nicht erlebt“ meint Mayer „sonst ist das eigentlich alles genau so wie überall: wenn es im Sommer feucht ist, haben wir mit Mehltau zu tun und es geht viel kaputt. Berliner Sommer sind aber oft heiss und trocken!“
Mayers Weine werden zwar auf Flaschen gefüllt und als Deutscher Tafelwein ettiketiert mit allem, was dazu gehört. Kaufen kann man sie aber nicht. Sie werden vom Bezirksamt „abgegeben“ oder erfüllen ihren Zweck als offizielles Präsent. Neben dem Weinberg in Kreuzberg kümmert Mayer sich auch noch um die Reben an der hessischen Landesvertretung.
Den Weinberg an der Methfesselstraße kann man besichtigen – Daniel Mayer veranstaltet bei Bedarf Führungen. Kontakt über facebook/Hauptstadtwinzer.