André Dominé foto:mpleitgen

Ende oder Wende – Frankreichs Süden im Umbruch

| 6.243 mal gelesen |

Das Languedoc-Roussillon, der schmale Streifen, der sich an der französischen Mittelmeerküste von Nimes bis an die spanische Grenze hinzieht, ist sicherlich eine der interessantesten Weinregionen Europas.

André Dominé foto:mpleitgen

André Dominé foto: mpleitgen

Die Vergangenheit ist noch nicht zu Ende

Er hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich – hat er auch eine große Zukunft vor sich? Ich sprach darüber mit Andrè Dominé, der seit über 30 Jahren in der Region lebt.

Die Vergangenheit, das war die Massenproduktion, in fast industriellem Maßstab betriebener Weinbau. Die Weine aus dem Süden befeuerten die arbeitende Klasse in den Kohleminen und Hochöfen Nordfrankreichs. Den Menschen hier im Süden ging es dabei noch nie gut: bei den großen Winzer-Revolten 1907 wurde das Militär gegen die Aufständischen eingesetzt.

Ab 2000 traf die „Crise Viticole“ den Süden besonders hart: das Rodungs-Programm zur Austrocknung des europäischen Weinsees ließ im Languedoc-Roussillon jedes Jahr fast 10.000 Hektar Reben verschwinden. Die Winzer nahmen die Prämie als Grundstock für ihre Rente, weil der Ertrag ihrer Weinberge hinten und vorne nicht mehr reichte. Ab 2005/06 ging man wieder zu Tausenden auf die Straße, blockierte Züge und Autobahnen, ließ Wein aus Tanks laufen.

Hin zur Qualität

Die eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität: niedrige Erträge, noble Rebsorten, strengere Vorschriften durch neue AOCs konnten den kommerziellen Niedergang nicht aufhalten. Unter der 1977 eingeführten Appellation „Cotes du Roussillon“ werden auch heute noch die billigsten Qualitätsweine Frankreichs verkauft. 80 Cents kostet ein Liter roter AOC als Fasswein aktuell.

Kann man sich wirklich gesund schrumpfen – oder schrumpft man sich eher zu Tode? Viele gehen davon aus, dass jetzt wohl die Talsohle erreicht ist – es kann nur noch besser werden. So die Aussage der Verbände.

Bei unserem Gespräch berichtete André Dominé von jungen Leuten, die von außerhalb in die Region kommen und Grundstücke mit alten Reben kaufen oder pachten, um darauf Top-Weine zu erzeugen. Die Preise sind zwar niedrig, aber die Rechnung geht wirtschaftlich doch oft nicht auf. Extrem niedrige Erträge von 20 oder 25 hl/ha, dazu noch ein hoher Pflegeaufwand haben ihren Preis. Es ist eben nicht einfach, Weine aus einer als Billig-Region angesehenen Gegend für 18, 20 oder 28 Euro die Flasche zu verkaufen – dieses Kunststück gelingt nur wenigen.

Die Genossen aus den Bergen

Zum Beispiel der Genossenschaft in Embres und Castelmaure, einem kleinen Ort in den Corbieres. Durch die Initiative und Überzeugungskraft von Coop-Präsident Patrick de Marien und Bernard Pueyo, dem Geschäftführer wurde vor 25 Jahren ein konsequenter Qualitätskurs eingeschlagen und das Marketing mit vielen neuen Ideen revolutioniert. Seither werden die Weine für die Kunden erzeugt – aber sie gefallen auch den Mitgliedern – 62 gibt es noch. Heute verkauft die Kooperative 2/3 ihrer Ernte in der Flasche – ein Teil unter ihren eigenen Etiketten – ein anderer Teil wird über eine Kooperation mit dem Abfüller und Großhändler JeanJean im Lebensmittelhandel vermarktet. Das Cuvee no 3 genießt Kultstatus. Die Weine sind in Fachgeschäften landesweit, genau so gut aber auch in den Feinkostabteilungen der Kaufhäuser und Supermärkte zu finden.

Das Etikett eines anderen Weines zeigt einen Ausschnitt aus der alten Michelin-Karte – ohne Navigationshilfsmittel ist der Ort mit seinen 140 Einwohnern in den Bergen kaum zu finden. Bei einem Besuch in der Coop sage ich der Dame hinter dem Tresen, dass mir das Etikett gut gefällt – ihr Ort sei ja nun wirklich am Ende der Welt gelegen. „Nicht am Ende der Welt, Monsieur – wir sind der Mittelpunkt!“ war die selbstbewusste Antwort.

Auch der Genossenschaftsgedanke wird hier hinterfragt und neu interpretiert: Einer Kooperative traue man in der Öffentlichkeit kaum Dynamik zu, aber wenn viele sehr unterschiedliche Charaktere den gleichen Gedanken und das gleiche Streben haben, kann das Berge versetzen. Mit diesen Worten wird der Besucher im Verkostungs- und Verkaufsraum begrüßt. Mutig und nicht gerade konventionell.

Die Winzer in Castelmaure bekommen im Schnitt 1,10 Euro pro Liter – im Vergleich: in der Region liegt der Auszahlungspreis bei 50 Cents. Die Rebfläche der Genossen hat sich in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt und liegt jetzt bei 400 ha.

Aufbruch in großem Stil

Fährt man durch die Region, kommt man an vielen geschlossenen Genossenschaftskellern vorbei. Um die Gebäude aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhundert pfeift der Wind und treibt altes Laub und Plastiktüten vor sich her. Die große Zeit der Coops scheint vorbei.

In den Achtzigern gab es im Languedoc noch 350 Cooperativen – heute sind davon etwa 100 geblieben. Über zwei Drittel sind verschwunden – einige der verbleibenden sind größer und größer geworden. Michel Bataille, der Chef von Vignobles Foncalieu, ist nach wie vor vom Prinzip des gemeinsamen Wirtschaftens überzeugt – auch wenn die Zahl der Coops weiter schrumpfen wird, teils weil die Winzer aufhören, teils weil Coops fusionieren.

Bataille ist nicht nur für 7.000 ha zuständig, er fühlt sich auch für 1.200 Winzerfamilien verantwortlich. In der konsequenten Ausrichtung am Markt sieht auch er wie die Kollegen der Micro-Coop in Castelmaure die Chance fürs Überleben seiner Genossen. Er und sein Team hat die Coop-Zentrale in der Nähe von Carcassonne zu einem der schlagkräftigsten Exporteure des Südens ausgebaut: von den 19 Millionen Flaschen werden 75% in 41 Länder exportiert. In Deutschland sind die Weine sowohl im ambitionierten Lebensmittelhandel als auch im Fachhandel vertreten.

Zwei genossenschaftliche Antworten auf den Umbau einer Wein-Region: Konzentration auf Premium auf der einen Seite, marktgerechte Qualität in hoher Auflage auf der anderen Seite. Welche Strategie auf die Dauer nachhaltiger ist, wird die Zukunft zeigen. Vielleicht haben beide ihre Berechtigung?!

Im zweiten Teil des Artikels:  Die Verrückten aus dem Hinterland Gauby & Co und  Starke Männer und Frauen versus gewachsene Strukturen