Der 29. Oktober 2009 war ein schwarzer Tag für die Wein- und Spirituosenbranche in Großbritannien: bei der First Quench Gruppe übernahm der Konkursverwalter die Geschäfte. 1.200 Geschäfte ( die Getränkekette Treshers und Weinläden wie Bottoms Up, Wine Rack, Victoria Wine, Peter Dominic und Martha’s Vineyard) schlossen ihre Türen. Über 4.000 Arbeitsplätze gingen im Handel verloren. Lieferanten und langjährige Geschäftspartner kamen ins Straucheln – lediglich einige Mitbewerber freuten sich über ein gutes Weihnachtsgeschäft.
Jetzt steht etwas Ähnliches bevor: am vergangenen Montag teilte Oddbins mit, 39 seiner 128 Outlets zu schliessen. Die Ankündigung kommt nicht aus heiterem Himmel: nach mehrfachem Besitzerwechsel kam die Traditionskette bereits 2008 ins Schleudern. Am Ende übernahm Simon Baile, der Sohn eines ehemaligen Oddbins Directors, die Läden. Jetzt scheint es endgültig dem Ende zu zugehen, wie die Fachpresse schreibt. Am Freitag gab Baile eine Erklärung ab, es gehe mit den verbleibenden Läden weiter, die Lieferanten stünden zu Oddbins. Harpers hat allerdings gehört, daß Lieferanten auf ihr Geld warten und die Konkurrenz sich bereits für die Übernahme interessanter Standorte warmläuft.
Auch die Kommentare auf den Wirtschafts-Seiten hören sich an wie ein Abgesang: Nils Pratley erinnert im Guardian Online an die glorreichen Zeiten, als die Briten mit Hilfe von Oddbins den Wein entdeckten. Sehr präsent sind auch noch die skurrilen Zeichnungen des GONZO Zeichners Ralph Steadman, die jahrelang die Preislisten und Angebote von Oddbins illustrierten. Bei Besuchen auf der Insel galt der erste Gang des Wein-Fachbesuchers dem nächsten Oddbins Laden, den man nicht verliess, ohne sich mit den neuesten Druckwerken einzudecken.
Die Gründe für den Niedergang des einstigen Weinhandels-Flagships sind vielfältig: Besitzwechsel, Managementfehler, zunehmende Konkurrenz durch Mitbewerber und Supermärkte. Vielleicht hatte sich auch der exzentrische Auftritt schon längst überlebt, als die damaligen Besitzer (aus heutiger Marketing-Sicht viel zu spät) einen mainstreamigeren Gang einlegten? Oddbins ist nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Opfer in einer sich immer dramatischer verändernden Handelslandschaft.
Wein ist auch in UK spätestens in den 2000er Jahren Teil des täglichen Lifestyle der Mittelschicht geworden – da war kein Platz mehr für Extravaganzen a la Steadman, der auch die Bücher seines Freundes Hunter S. Thompson bebilderte. Was für die Itelligenzia damals stimmte, trifft in mehrfacher Hinsicht nicht unbedingt den Geschmack des heutigen Weintrinkers.
Am 20. Februar 2005 nahm sich Hunter S. Thompson an seinem Schreibtisch in Woody Creek mit einem Kopfschuss das Leben. Er habe nicht aus Verzweiflung gehandelt, sondern zum richtigen Zeitpunkt abtreten wollen, wird sein Sohn zitiert. Steadman is still alive und beglückt seine Fans mit einem Royal Wedding mug and towel zur königlichen Hochzeit Ende April in dem ihm eigenen Design.
Fear and Loathing in Las Vegas hieß der bekannsteste Roman des Gespanns Thompson / Steadman (später verfilmt mit Johnny Depp). Aktualisiert könnte der Titel angesichts des Untergangs der Wein-Ikone der 70er und 80er Jahre lauten: Furcht und Schrecken in der Weinbranche.
PS Hier gibt’s eine ganz aktuelle Diskussion zum Thema
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