Chateau Talbot 2008 für 43,10 Euro oder Chateau d’Yquem 1998 für 149 Euro. Es ist keine Schande, sich aus dem Supermarkt mit Grand Crus zu versorgen. Ein Großteil der französischen Wein-Liebhaber tut es schon seit Jahren. Den Talbot gibt es aktuell bei Carrefour, den d’Yquem bei Auchan.
Der September gehört in den Grandes Surfaces zu den ganz heissen Monaten für die Weinfans. Genauso wie im deutschen Weinhandel war er bis zur Erfindung der „Foires aux Vins“ ein toter Monat. Die einen sind aus dem Urlaub zurückgekehrt und haben sich vielleicht finanziell etwas überausgabt, gleichzeitig beginnt die Schule wieder: da will das Konto erst mal wieder gefüllt sein. Die anderen (die ohne Kinder) sind gar nicht da, weil sie erst jetzt ihren Urlaub nehmen.
In „Douce France“ ist das alles noch extremer: der mehrwöchige Familienurlaub ist fest in den Jahreslauf eingeplant. Betriebsferien in den großen Firmen und mit Zeitungspapier zugeklebte Schaufenster in Paris markieren den Sommer. Die „rentrée“ im Herbst ist dann ein marketing- und werbetechnischer Höhepunkt des Jahres. Nicht nur die Kinder müssen neu eingekleidet werden, auch die neue Mode für Madame ist da und Papa braucht einen neuen Anzug fürs Büro. Im Kino laufen die neuen Filme an, Theater und Operhäuser starten in die neue Saison. Alles neu macht in Frankreich nicht der Mai, sondern der Herbst. Dauerstrapaze für den Geldbeutel und Saure-Gurken-Zeit für den Lebensmittelhandel – geschlemmt haben die Kunden während der Ferien und der nächste kulinarische Höhepunkt findet erst wieder in einem Vierteljahr statt.
Die Leclercs sind für den französischen Lebensmittelhandel so etwas wie die Schleckers für die deutsche Drogerieszene – nur unendlich viel erfolgreicher. Die einstmaligen Schmuddelläden der bretonischen Familie sind national unangefochtener Marktführer in der Supermarktszene. Wo andere zu Größe oder bombastischem Auftritt neigen, herrscht hier professionelle Bescheidenheit, Leistungsdenken und der beste Preis für das beste Angebot.
Die Leclercs haben einst das Rezept geben die Herbstflaute erfunden: Grand Crus zu Discount-Preisen – die Foires aux Vins. Seither wird jedes Jahr im September das Rennen auf die „Super-Affaires“ eröffnet, die in wenigen Tagen ausverkauft sind. Jede Supermarkt-Kette strickt ab März/Februar an ihrem Angebot, mittlerweile tun auch jede Menge Online-Anbieter mit. Die Top-Acts finden aber nach wie vor mit schöner Regelmäßigkeit bei Auchan und Carrefour statt.
„Da kommen Leute und laden sich für 2.000 /3.000 Euro ihren Kofferraum voll. Die sehen wir nur einmal im Jahr. Nach wie vor: ein Phänomen!“ sagte mir der Einkäufer einer großen Supermarktkette. 40% des Jahresumsatzes in 3 -4 Wochen für den „rayon vins“, für das Wein-Sortiment. Ein bißchen ist der Hype schon abgeflaut – aber er ist immer noch fest einkalkuliert.
Grands Crus im Supermarkt – in Deutschland ist das noch ein Aufreger. Bei unseren Nachbarn Alltag: die ehrwürdige Revue de Vins de France (RVF) widmet den Foires aux Vins in den Supermärkten eine ganze Nummer. Die Angebote werden frühzeitig durchleuchtet – was ist wo besonders günstig. Crus sind Markenartikel – über die Qualität haben sich bereits zahllose Führer, Päpste und sonstige Auguren ausgemährt – jetzt geht es nur noch um den günstigsten Preis. Fünf Sterne in der RVF meint: Affaire exceptionelle – die Caddies bis zum Anschlag füllen. Die ketzerische Frage darf erlaubt sein – wo ist der Unterschied zum Toilettenpapier?
Jetzt mag jemand sagen: Gottlob – in Deutschland kennen die Supermärkte das französische Konzept der Foire aux Vins nicht! Ganz so ist es nicht: es gab immer wieder Versuche – aber es gibt weitaus weniger Cru-orientierte Kunden und die Handelsstruktur ist eine ganz andere.
Unsere Nachbarn fahren kilometerweit zum nächsten Hypermarkt – da werden Oma und Opa mitgenommen und entsprechend sind die Riesen-Einkaufwagen voll bis obenhin. Der nächste Lebensmittel-Markt ist für deutsche Verbraucher 10 – 12 Minuten weit entfernt. Hier werden Alltags-Produkte und Alltags-Weine für den Tag eingekauft. Ab und an nimmt man vor den Feiertagen auch einmal eine „bessere Flasche“ aus dem Premium-Angebot mit. Tägliche Verfügbarkeit und flächendeckende Dauer-Niedrigpreise – das ist das, was die Deutschen kennen. Und das bestimmt ihr Einkaufsverhalten.
In Deutschland bieten Discount und Supermarkte ein Sortiment für jeden Tag – keine Notwendigkeit für weitere differenzierte Wein-Angebote. Wer die sucht, wird trotzdem fündig: den „Grange“ für 200 Euro beim EDAKA findet man im Internet. Deshalb wird es auch zukünftig keine flächendeckenden Foire aux Vins bei uns geben.
Lassen wir trotzdem mal die Gedanken spielen: September – Diät-Monat für die Weinhändler – Lange Nacht mag man nicht. Warum nicht Foires aux Vins wie bei unseren Nachbarn? Mancher könnte zu Auchan zum Einkaufen fahren – so wie es viele Fachhändler in Frankreich tun, weil sie so günstig sonst nicht an ihre Grands Crus kommen. Marge? Unterirdisch!
Alternative: Sch… auf die Grands Crus – laß die doch ihren Zirkus veranstalten. Ohne mich. Bei mir gibt’s die Alternativen. Nur: in Frankreich arbeiten die Supermarkt-Einkäufer schon lange an den Alternativen. Madiran statt Bordeaux – Roussillon statt Burgund. In Deutschland sind wir noch nicht so weit – das ist jetzt kein Signal zum Zurücklehnen sondern eine Aufforderung, sich ganz schnell Gedanken zu machen. Die Strukturen in den Märkten werden sich trotz allen Unterschieden immer ähnlicher!
6. Oktober 2011 um 09:41
Danke! Sehr informativer und schöner Artikel über die Foires aux vins in Frankreich!
Bei anderen Produkten funktioniert es ja in Deutschland auch, Tchibo hat es mit dem Phasenkonzept in den Geschäften erfolgreich umgesetzt.
Werde mich beim nächsten Auchan-Besuch mal über die Foires aux vins informieren …
7. Oktober 2011 um 15:50
Ich war lustigerweise gestern erst im Leclerc in Wissembourg und war in der Tat überrascht von der Auswahl bei der Foire aux Vins dort.
Die ersten 2009er BDX von ca. 4-25 EUR wurden präsentiert, aber auch aus vielen anderen Regionen. Neben durchaus anständiger Präsentation waren auch die meisten Preise (von den Weinen, die ich vergleichen konnte) keineswegs reißerisch, sondern überzeugend.
Eine klimatisierte „Fine Wine boutique“ findet sich in den wenigsten Läden in Deutschland, auch selten im LEH in dieser Qualität, Yquem bis 1988, Haut Brion etc… wenn man es denn braucht.
Was ich bei Leclerc wirklich gut finde: Die starke Regionalität der Weine. Im Languedoc bekommt man ein breites Spektrum regionaler Weine auch von kleineren Winzern, die schon ein paar Km südlicher im Roussillon wieder anders aussehen… und das alles neben dem breit aufgestellten „Standard-Programm“, was dort ja ebenfalls nicht zu verachten ist.