Kluge Regime schalten das Internet nicht einfach ab oder zensieren bestimmte Inhalte – nein sie lassen es laufen und bedienen sich der Technik und der Methoden von Facebook und anderen Social Media Seiten, um Oppositionelle und Andersmeinende ausfindig zu machen und sie gezielt auszuschalten. Das geht vom Löschen von Postings bis zu peinlichen Verhören und zur Inhaftierung und Liquidierung. Schon jetzt sind die Social Media Kanäle ein besseres Instrument zur Überwachung des Einzelnen als es sich Aldous Huxley (Brave new World) oder George Orwell (1984) jemals vostellen konnten.
Eine erschreckende Lektüre – das neue Buch von Evgeny Morozov: The Net Delusion. Morozow gilt als Internet-Skeptiker und stammt aus Weißrussland – viele seiner Beispiele kommen deshelb aus dem Dunstkreis der ehemaligen Sowjetunion. Erschreckend, weil wir oft ganz selbstverständlich voraussetzen, daß der Zugang zu freier, unzensierter Information über elektronische Medien auch das Streben hin zu einer freieren, demokratischeren Gesellschaftsform unterstützt.
Am Beispiel der ehemaligen DDR zeigt Morozow, daß der Zugang zu westlichen, bundesdeutschen Medien die Protestbereitschaft der Bevölkerung eher gebremst als befördert hat. Wer abends West-Fernsehen gucken konnte, war mit seinem beschwerlichen sozialistischen Alltag eher versöhnt, als derjenige, der im „Tal der Ahnungslosen“ wohnte. Dort im Süd-Osten der DDR war der Widerstand vor der Wende heftiger. Das leitet Morozow aus erst nach der Wende veröffentlichten Langzeitstudien des DDR-Zentralinstitutes für Jugendforschung ab.
Brot und Spiele – die Internet Medien bieten beides. Laut Morozow entscheiden sich die meisten User auch in Krisen-Situationen eher für die Spiele = Unterhaltung statt für das trockene Brot = politische Information. Die Twitter-Revolution in Iran erklärt Morozow anhand von Nutzer-Daten zum Phantasia-Land westlicher Medienfreaks. „Nicht die Zensur- sondern die Beherrschung des Internets ist die wahre Gefährdung der Demokratie“ lautet dann auch die Überschrift eines Morozow-Artikels am 12./13. März in der Süddeutschen.
Zu denken gibt auch der Artikel von Konrad Lischka in SPIEGEL Online „Die ganze Welt ist meiner Meinung„. Kurz zusammengefasst: was ich auf Facebook zu sehen bekomme, entscheidet Facebook aufgrund meines Nutzerverhaltens. Jeder freut sich, wenn seine Ansichten Bestatigung erfahren, wenn ihm zurückgespiegelt wird, dass er mit seiner Meinung nicht alleine steht. Genau in diese Richtung filtert Facebook meine Timeline. Google steuert die Ergebnisse meiner Anfragen in die gleiche Richtung. Um bei einem aktuellen Beispiel zu bleiben: der Bundes-Freiherr gewann kurz vor seinem Absturz bei seinen Fans im Netz immer mehr Strahlkraft – während er gleichzeitig für seine Kritiker immer mehr Punkte verlor.
Morozow mahnt, nicht zu vergessen, daß wirkliche Veränderungen immer noch auf den wirklichen Straßen und Plätzen stattfinden und nicht auf den Foren und Marktplätzen des Internets. Zugespitzt ausgedrückt: Twitter und Facebook können helfen zu mobilisieren und organsieren – Geschichte wird gemacht, wenn Menschen auf Panzer treffen.
Er warnt vor der Ansicht, bestimmte Technologien würden automatisch bestimmte kulturelle, soziale oder politische Folgen nach sich ziehen. Auch wenn dieser Gedanke „faszinierende, machtvolle Szenarien hervorbringt und einfache, in sich schlüssige Geschichten produziert, die der Alltags-Erfahrung in westlichen Kulturen zu entsprechen scheinen“.
Die Faszination neuer Techniken und der Blick durch die technologische Brille könnten die Mittel zum Zweck werden lassen und den Blick auf die Realität verstellen.
Mein persönliches take away : gerade den letzten Gedanken gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich mit den neuen Medien beschäftigt – nicht nur, wenn es um deren Auswirkungen in der Politik geht. Auch die Bedeutung von Social Media für unser tägliches Geschäft kann man ganz schnell falsch einschätzen, wenn man sich zusehr auf die Technik und ihre Möglichkeiten fokussiert.