Irgendwann wurde es dann mal wahr: Mario Scheuermann hatte mich schon so viele Male in seine neue Wahlheimat Lauenburg eingeladen – und als ich in der Nähe zu tun hatte, verabredeten wir uns zu einem abendlichen Treffen in dem Städtchen.
Er hatte mir das Bellevue empfohlen – „ das ist ein Hotel auf dem Hochufer mit garantiertem Flashback in die 60er Jahre – aber mit einer wunderschönen Aussicht“. Wie in so vielem sollte er darin Recht behalten … und weil er für mich reserviert hatte, gab es ein Zimmer mit grandioser Sicht auf die Elbe und das gegenüberliegende Ufer.
Wir trafen uns dann auf dem wenige Meter vom Hotel entfernten Sportplatz. Scheuermann hatte wenig Zeit: „Eine tolle Band – Jungs aus dem Ort hier und wirklich gut. Geht gleich los!“ Ich hatte mir den Abend ganz anders vorgestellt – hier schien die gesamte Jugend aus dem Herzogtum Lauenburg zusamt mit der aus Hamburg und Umgebung versammelt zu sein. Die Band war wirklich gut, aber viel zu laut. Scheuermann machte das nichts aus, er fühlte sich in der Menge sichtlich wohl und ging nach vorne an die Bühne.
Als ich später im Garten des Hotels oberhalb der Elbe bei einem Weizen saß , wo die Musik etwas leiser als auf dem Festgelände war, musste ich an die Uhr denken. Wenn ich mich richtig erinnere, war es eine goldene Uhr, die dem Roadie Mario Scheuermann einmal von Emerson, Lake und Palmer für die Organisation einer ihrer Mammut-Touren geschenkt wurde. Ganz am Rande hat er die mal erwähnt, die Uhr. Irgendwann in irgendeinem der vielen Gespräche die Scheuermann zu einer meiner Konstanten werden ließen: War irgendetwas in der Online-Wein-Welt passiert, zu dem ich mir keinen Reim machen konnte, rief Scheuermann an, bevor ich selbst zum Hörer greifen konnte, um ihn anzurufen.
Fragen, nachhaken, hinterfragen
Unermüdlich auf der Suche nach den Ursprüngen, den Ursachen, der Wahrheit hinter den Dingen verfolgte er auch kleinste Spuren – und kam auch manchmal zu Ergebnissen, die unangenehm für die Betroffenen waren. Und mit denen er sich selbst auch nicht viele Freunde machte. In manche Sachen verbiss er sich und ließ nicht los – er hatte halt Journalismus gelernt. Mit seinen Bemerkungen und seiner Kritik hat er auch mich auf diesen Weg gebracht: jeden Vorgang und jede Zahl die man publiziert, mindestens dreimal zu hinterfragen. Trotzdem geht mal was daneben – dem Grandseigneur des Weinjournalismus ist das allerdings selten passiert.
Wir waren selten einer Meinung – besonders, wen es um politische Dinge ging – trotzdem werde ich den regelmäßigen Austausch mit Mario Scheuermann vermissen. Das es „Weinakademie Berlin“ heute im Netz so gibt, wie es sie gibt, hab ich ihm zu verdanken. Er hat mich zum Bloggen ermutigt. „Wer, wenn nicht Sie, sollte das können?“ Er hat mir die kleinen und großen Tricks gezeigt. Mit anderen Bloggern zusammen haben wir unsere Artikel nach oben geboxt, um im Konzert der etablierten Medien wahrgenommen zu werden. Das war spannend – so ein Gefühl: wir gegen alle. Online vs print. Als einer der ersten hat Mario Scheuermann gemerkt, dass das die falsche Frontstellung ist.
Die Entdeckung der neuen Medien
Aber zunächst einmal war er fasziniert von den Möglichkeiten der neuen Medien. Seine Blogs, Facebook, Youtube, Google+, Pinterest und zuletzt Ello – da war er aktiv, bevor ich richtig begriffen hatte, wie der einzelne Kanal funktionierte. Alles musste ausprobiert werden. Schnell hatte er gemerkt, dass er über die verschiedenen Medien ein unterschiedliches Publikum erreichte. Eine Gesamtstrategie musste her. So entstand der kanalübergreifende Weinreporter mit vielen unterschiedlichen Facetten. Er versuchte uns alle mitzunehmen in die neuen Kanäle, die er sich erschlossen hatte. Mir war das zu viel. Bei Google+ und bei Ello konnte ich ihm nicht mehr richtig folgen. Währenddessen hatte er dort schon wieder neue Freunde, Follower und Diskussionspartner gefunden. Wie kann man online Reichweite und Einfluss messen? So wie Auflage und Leser bei einer Zeitung oder Zeitschrift? Diese Frage beschäftigte ihn ständig. Da ging es um Vergleichbarkeit, um Akzeptanz bei möglichen Anzeigenkunden und natürlich auch um die Anerkennung als „Influencer“, als wichtige Stimme in der Weinwelt.
Ich denke, Mario Scheuermann hat die neuen Medien so heftig umarmt, weil er hier sein eigener Herr sein konnte. Kein Redakteur, dem er erklären musste, warum er dieses oder jenes Thema bearbeiten wollte. Keinen Verlagsmenschen, der seine eigene Vorstellung von dem hatte, was sich hinterher zwischen zwei Buchdeckeln finden sollte. Nicht darauf warten müssen, bis andere verstanden hatten. Hier konnte er loslegen, testen, ausprobieren. Und bekam sofort ein Ergebnis. Topp oder Flopp. Und gleich wieder weiter. Warten – auf andere warten – war nicht seine Stärke – die neuen Medien kamen seiner ungeduldigen Natur entgegen.
Online sein zu können, war wichtig für ihn. WLAN schien für ihn manchmal so wichtig zu sein, wie die Luft zum Atmen. 2012 waren wir zusammen bei der Cape-Wine in Südafrika. Bei der Messe setzte er alles daran, dass die eingeladenen Journalisten und Blogger einen eigenen schnellen Online-Zugang bekamen. Die Nachricht, die du heute absetzen kannst, interessiert morgen nicht mehr. Das war die eine Seite – die andere war wohl, dass er verstanden hatte, dass Online eine ganz eigene Dynamik hat, die es braucht, damit das Publikum dabei bleibt.
Engagement
Als ich in den letzten Jahren immer weniger an die alternativen, positiven Möglichkeiten von Facebook und Co glaubte, weil alles professioneller und mehr und mehr durchkommerzialisiert wurde, war er immer noch auf der Suche, wie man die neuen Medien doch noch für wichtige gesellschaftliche Belange nutzen konnte. In Lauenburg twitterte und facebookte er für Kultur, Hochwasserschutz und bis zuletzt für das Flüchtlingsprojekt.
Bei allem Online-Engagement hat er sich aber auch immer noch mit Print beschäftigt. Von der Entwicklung des Falstaff war er fasziniert. Für den Weinwisser arbeitete er an einer Online-Strategie und war er auf der Suche nach neuen Autoren, um die Zeitschrift auf ein neues Gleis zu setzen. Auch hier war er anspruchsvoll – an andere und an sich selbst.
Scheuermann hatte immer nicht nur eine Idee und er konnte den kleinsten Dingen viele Facetten abgewinnen. Wein stand immer im Zusammenhang mit Kunst, Geschichte, Kultur, Philosophie. Oft habe ich versucht, ihn zu bremsen, inhaltlich, aber auch in seiner Bereitschaft, in jede Auseinandersetzung hineinzugehen – das hat ihm hin und wieder nicht gefallen. Wenige Tage später war er dann wieder am Telefon.
Ich habe ihn erlebt als einen unermüdlichen Arbeiter im Weinberg des Lebens, als Entdecker, als Anreger und Unruhestifter im positiven Sinne, aber gleichzeitig auch als Suchenden, der ein Gegenüber brauchte. Danke für die vielen Gespräche!
Auf Mario Scheuermanns Verdienste und seine Arbeit für den Wein hat Dirk Würtz hingewiesen