Sympathisch, offen und kompetent. Emmanuel Cazes – er brennt für das Haus, das den Namen seiner Familie trägt, auch wenn ein großer Teil des Familenbetriebes heute zur Jean-Jean Gruppe gehört.
Der Besucher merkt, dass hier jemand ist, der sich mit Leib und Seeele seinen Weinen verschrieben hat – sie gehören zu den Top-Produkten der Kategorie: Decanter, Wine Spectator, Guide Hachette sind voll des Lobes über den Muscat und die Süßweine aus der Kellerei im Örtchen Rivesaltes in der Nähe von Perpignan.
Ein Gang durch den Keller mit Emmanuel Cazes überzeugt mehr, als manch andere aufwendige Aktivität einer Marketing- oder PR-Abteilung.
Damit sind wir beim Thema: Es ist immens aufwendig, Journalisten, Sommeliers oder Besucher aus dem Handel in den Betrieb zu bekommen. Da sind nicht nur die unmittelbaren Kosten – eventuell müssen Reisen und Übernachtungen bezahlt werden – sondern auch der Zeitaufwand und die Vorbereitung. Trotzdem wundert es, wie viele Betriebe sich unter Wert verkaufen, sind die „teuren“ Besucher dann endlich vor Ort.
Oftmals sind es Kleinigkeiten, die das sorgsam aufgebaute Bild stören oder sogar die gesamte Arbeit zunichte machen. Hier eine Liste der häufigsten Fehler:
Vorbereitung und Personen
- das Programm vor Ort ist nicht auf die Besucher abgestimmt – Fachhändler bekommen Supermarktweine vorgeführt
- vom Tafelwein bis zum Top wird die gesamte Range vorgeführt – 15 bis 20 Weine bei einem Besuch von zwei bis drei Stunden sind zuviel – besser ist es, einige exemplarische Weine herauszusuchen mit denen man den Betrieb vorstellt
- Vorträge und Präsentationen sind eher auf Endverbraucher zugeschnitten – die Fachbesucher ärgern sich über die verlorene Zeit
- statt der wirklich wichtigen Leute, wie Inhaber oder Weinmaker, empfängt eine nette junge Dame aus der PR Abteilung oder dem Verkauf – tödlich, vor allem bei Journalisten-Besuchen
- statt einer persönlichen Begrüßung werden die Besucher direkt vor die Leinwand oder den Bildschirm mit dem Firmenvideo gesetzt
- Folien oder Präsentationen werden emotionslos und ohne weitergehende Informationen abgelesen – die kann sich der Besucher auch im Internet anschauen
- es ist immer schön, liebe Kollegen aus der Branche zu treffen, die man länger nicht gesehen hat. Das sollte allerdings kein Grund sein, sich ausgiebig zu unterhalten, wenn man eine Besucher-Gruppe zu betreuen hat
Technik
- die aufwendigen vierfarbigen Pressemappen und Dokumentationen wandern spätestens dann in den Papierkorb, wenn die Besucher den Koffer für den Heimflug packen. Eine CD, ein USB Stick und Links zu einer Webseite mit Texten und Bildern zum Download machen es den Besuchern einfacher
- die Technik funktioniert nicht – ob Computer und Beamer miteinander harmonieren, Ton und Licht auf Knopfdruck präsent sind, sollte man vorher ausprobieren. Pannen die offensichtlich auf mangelnde Vorbereitung zurück zu führen sind, signalisieren mangelndes Interesse am Besucher
- in einem Keller, in dem das Licht aus irgendeinem Grunde nicht brennt – vielleicht weil man sich nicht informiert hat, wo der Lichtschalter ist, ist es einfach dunkel…
- wo gearbeitet wird, zum Beispiel in einer Abfüllhalle, ist es laut – die Mitarbeiter dort müssen Gehörschutz tragen. Es ist wenig sinnvoll in einem solchen Ambiente lange technische Vorträge zu halten
- bei Verkostungen stehen keine adäquaten Gläser und Spucknäpfe zur Verfügung. Geht man davon aus, die Besucher würden die Proben trinken?
- zu den Proben gehört eine Verkostungsliste in der Reihenfolge der Weine und mit den wichtigsten Angaben. Bezeichnung, Herkunft, Rebsorten und die wichtigsten analytischen Daten – sonst wird man die ganze Zeit darüber reden, welchen Wein man gerade im Glas hat, wo er zu finden ist, welche Rebsorten, Hektarerträge….
- lädt man die Besucher zum Essen ein, sollte man vorher selbst praktisch probiert haben, ob Wein und Essen zueineinader passen. Ein paar Gewürze oder eine Sauce können die geschmacklichen Eigenschaften eines Gerichtes völlig verändern. Deshalb: niemals ein Menü beim Gastronomen oder Caterer nur über die Karte ordern – hingehen und selbst essen
Inszenierung und Sprache
- wenn der Chef oder wichtige Leute aus dem Unternehmen nur Zeit für eine kurze Begrüßung haben, müssen sie trotzdem richtig gebrieft werden. Deutsche oder amerikanische Besucher interessiert kaum, welche Medaille man unlängst in Hongkong bekommen hat. Den besten Eindruck macht es, wenn Personen, Firmen oder aktuelle Ereignisse aus dem direkten Umfeld der Besucher als Referenz genannt werden
- ist man in einer Fremdsprache nicht wirklich zu Hause, sollte man einen Übersetzer engagieren, der sich mit Wein auskennt. Mit dem eigenen Schulenglisch kommt man in den meisten Fällen nicht weiter – gerade, wenn man es mit Besuchern aus englischsprachigen Ländern oder aus Asien zu tun hat, ist eine gute Performance wichtig. Man kann sein Anliegen nicht rüberbringen, Missverständnisse sind vorprogrammiert
Wichtig ist, den Besuchern den Eindruck zu vermitteln, dass es um sie geht – sie haben eventuell eine weite Reise auf sich genommen und wertvolle Zeit investiert und möchten natürlich möglichst viel mitnehmen. Man sollte deshalb versuchen, den Ablauf eines Besuches einmal durch die „Brille“ der Besucher zu sehen.
17. September 2012 um 18:26
Das kann ich von meinen Reisen, auch organisierte über Verbände oder Fachzeitschriften, oft genau so berichten. Das ist dann auch bei Besuchen von Produzenten in Deutschland oft nicht besser. Schade um den Zeitaufwand für alle Beteiligten. Ganz ärgerlich ist es das für solch schlecht vorbereitete Jobs dann auch noch der ein oder andere Geld bekommt.
18. September 2012 um 15:53
Jetzt habe ich es wieder Life erlebt. Da ruft heute morgen auf dem Handy um 9 Uhr ein Vertreter eines deutschen Importeurs an: „Ich hole gerade unseren Gast aus (Südamerika) vom Flieger ab. Kann ich mit dem dann bei ihnen mal später vorbeischauen?“ Da war vorher nichts angekündigt oder sogar Termin, Wir haben von dem Importeur einen anderen Betrieb aus dem gleichen Land und unser Mitbewerber hat den Betrieb des Besuchers. Was soll das denn? Planung……
Fällt mir nur noch dazu ein: „Es ist gesünder sich zu wundern als zu ärgern“
19. September 2012 um 10:01
An alle Winzer und Verbände,
Ausdrücken und übers Bett hängen!
Vielen Dank Herr Pleitgen, Sie sprechen mir aus der Seele.
22. September 2012 um 09:35
Sehr guter Text. Man sollte aber noch anfügen, dass es häufig gar nicht so dunkel ist. Und noch eine Ergänzung: Wenn man Internetaffine Journalisten oder Blogger einlädt, freuen diese sich nicht selten über ein offenes WLAN. Wenn man dies hinsetzt und die Besucher darüber informiert, kann man sich über direkte Resonanz nicht mehr wundern. Und wenn vieles anderes auch stimmt, ist diese dann auch noch sehr positiv.