Oft ist man bei historischen Veränderungen dabei, ohne es wahrzunehmen. Erst in der Rückschau sieht man dann, was da wirklich Wichtiges passiert ist. Für den Weinjournalismus scheint 2009 so ein entscheidendes Jahr zu sein.
In einem Interview zur Paid-Content-Debatte berichtete am Wochenende im Tagesspiegel der Medien-Forscher Stephan Russ-Mohl zu Entwicklungen am Zeitungsmarkt in den USA. In Deutschland habe oder wolle man nicht verstehen, was dort in den letzten beiden Jahren passiert sei: „Redaktionen werden halbiert, selbst große Zeitungen wie die „Chicago Tribune“, die „Los Angeles Times“, der „Philadelphia Inquirer“ sind pleite.“
Russ-Mohl sagte auf die Frage, wie er die Zukunft des Qualitätsjournalismus sehe: „Pessimistisch, wenn es den Medienhäusern nicht gelingt, trotz all ihrer Medienmacht und ihrem direkten Zugang zur Öffentlichkeit uns alle davon zu überzeugen, dass unabhängiger Journalismus sein Geld wert ist, und dass er nur dann unabhängig bleiben wird, wenn wir selbst – und nicht der Steuerzahler und auch nicht wohlmeinende Stifter – für ihn bezahlen.“ Russ-Mohl hat kürzlich in einer Online-Diskussion gesagt, wer denn seiner Meinung nach mehr und mehr Journalismus bezahlt: “Wer zahlt, schafft an” – und leider zahlt eben die Werbe- und PR-Industrie immer mehr…“
Und bei diesem Punkt sind wir beim Wein-Journalismus angelangt: hier ist die Plattform für Schreiber durch das Wegbrechen der Medien schmaler geworden. Da sind die Zeitschriften, die zugemacht werden, die Wein-Kolumnen, die verschwinden und das mächtig geschrumpfte Wein-Regal in der Buchhandlung. Die Neu-Erscheinungen bei den Weinbüchern in diesem Herbst kann man an fünf Fingern abzählen.
Zum Glück für die wein-schreibende Zunft gibt es die Hersteller und den Handel. Die haben erkannt, daß sie Leute brauchen, die Geschichten erzählen können. Geht es hier doch nicht um Zahnpasta oder Hundefutter, sondern um ein Produkt das von und mit Geschichte und Geschichten lebt.
Wer für diese Auftraggeber tätig wird, muß ein Multitalent sein: Geschichten wollen ausgegraben und erzählt, Werbetexte geschrieben und das Ganze dann mit Veranstaltungen und Wettbewerben belebt und verkauft werden.
Wenn Redaktionen zugemacht werden, weil die Zeitschriften immer weniger Leser und Anzeigenkunden haben, muß der Redakteur eben andere Quellen für die Finanzierung seines „content“ finden. „Paid-Content“ in diesem Sinne ist für die Weinbranche normal geworden. In den letzten Monaten landeten der neue „Württemberger“ (Rudolf Knoll, Vinum) von der Werbegemeinschaft Württembergischer Weingärtnergenossenschaften, die Weinschule (Renate Frank, Essen&Trinken) von Edeka und das Magazin „Vive le vin“ (Kristine Bäder/Rolf Klein – Meininger Verlag) von SOPEXA Deutschland auf dem Schreibtisch.
Aber auch sonst sind „content“ Lieferanten gefordert: bei der Verlagerung des Geschäftes ins Internet (Vorbild Jacques‘) wollen Seiten gefüllt, Weine und Winzer beschrieben werden. Die Zeitschriften- und Zeitungs-Weinclubs (Essen&Trinken, Welt, Handelsblatt, Focus, Stern) brauchen Qualitäts-Content. Es gibt Autoren, die ganz bewußt auf diese Pferde setzen oder ihre Karriere damit starten: Antje Seeling von Weinworte oder Anja Hanke von der Schreibküche.
Diejenigen, die gleich ganz ins Internet gegangen sind, stehen jetzt vor der Problematik, „dass sich Qualitätsjournalismus nicht refinanzieren lässt, wenn er gratis online angeboten wird“ wie Forscher Russ-Mohl es im Tagesspiegel formuliert. Zudem machen sie die Erfahrung, daß es für Online-Werbung „nur lausige Pennies“ (Hubert Burda) gibt. Auch hier sind neue Geschäftsmodelle gefordert.
„Paid Content“ zum Thema Wein im Internet zu verkaufen scheint bislang nur ganz wenigen zu gelingen. Jancis Robinson ist ein Beispiel dafür. In den USA hat Appellation America kürzlich auf Bezahlen umgestellt. Die Warnungen von allen Seiten waren im Vorfeld unüberhörbar. Aktuelle Zahlen gibt es weder von Robinson noch AA.
Stephan Russ-Mohl hat kürzlich ein neues Buch veröffentlicht: “ Kreative Zerstörung -Zum Niedergang und zur Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA“. Vielleicht sollte man über die Feiertage einmal hineinschauen, damit man eine Ahnung davon hat, was uns denn noch so alles erwartet.
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