„This is our 579th—and last—“Tastings“ column. The past 12 years—a full case!—have been a joy, not because of the wine but because we had an opportunity to meet so many of you, both in person and virtually. Thank you.“ mit diesen Worten verabschiedete sich an Weihnachten das profilierteste Wein-Kritiker Paar der USA von seinen Lesern.
John Brecher und Dorothy Gaiter hätten gerne weiter für das Wall Street Journal (WSJ) geschrieben. Hinter den Kulissen wird berichtet, der Zeitung sei die Kolumne einfach zu teuer geworden. WSJ ist eine der auflagenstärksten Tages-Zeitungen der USA und gehört seit 2007 zur News Corp. von Robert Murdoch, der dem Blatt seither eine Runderneuerung verbunden mit einer Verschlankung verordnet hat. WSJ ließ verlauten, Wein werde auch weiter einen hohen Stellenwert auf seinen Seiten haben.
Die Nachricht ist Grund, einmal zu schauen, welche Bedeutung das Thema Wein in der deutschsprachigen Tages-Presse hat. Für die FAZ schrieb bis Anfang der nuller Jahre Horst Dohm über Wein, oft auch aus der ökonomischen Perspektive. Er war zuständig für alles, was mit „flüssigem Genuß“ zu tun hatte. Dazu gehörten auch Tee, Saft und Spirituosen. Vielen ist er durch seine Bücher „Flaschenpost aus ….“ bekannt, in denen er Wein-Regionen unter die Lupe nahm. Heute gibt es bei der FAZ niemanden mehr, der sich im gleichen Umfang mit dem Thema beschäftigt: Dohms Nachfolger Christian Hiller von Gaertringen (hlr) ist vor allem für Banken und Finanzmärkte zuständig. Die FAZ leistet sich mit Stuart Pigott einen Weinkolumnisten, der wöchentlich in der Sonntags-FAZ schreibt. Außerdem schreiben ab und an Daniel Deckers (D.D.) (Katholische Kirche), Jacob Strobel y Serra (str.) (Reiseblatt) und Bernd Fritz (dtz) über Weinthemen. Damit dürfte in FAZ/FAS etwa zweimal pro Woche etwas zum Wein erscheinen.
In der WELT hat Bild/BAMS Chef-Kolumnist Martin S. Lambeck seine Weinkolumne. Eine Zeit lang schrieb auch Hendrik Thoma regelmäßig Beiträge. Berühmt wurde der Artikel, der zum Auslöser der „5 Euro“ Debatte wurde. Die Artikel in Zusammenhang mit dem Welt-am-Sonntag-Weinclub werden wohl mehr vom Vertrieb veranlaßt.
Die Süddeutsche Zeitung fällt zum Thema Wein komplett aus: hier wird aus verschiedenen Ressorts immer dann berichtet, wenn etwas anfällt. Auseinandersetzungen um den Gault-Millau, Rekord-Ernten oder Champagner-Preise. Die Wein aus Östereich-Seite wird von der Anzeigenabteilung betreut, ebenso die Wein-Beilagen zur inzwischen eingestellten Süddeutsche Vinothek.
Fehlanzeige ebenfalls bei der Frankfurter Rundschau und der TAZ. Bei den Wirtschaftszeitungen darf man wöchentlich Piet Falkenstein im Handelsblatt folgen. Aus Falkensteins Weinprobe sind dort Falkensteins Weinmacher geworden.
In der Financial Times Deutschland FTD berichten verschiedene Ressorts und Gast-Autoren immer, wenn es etwas über Wein-Firmen und -Märkte zu vermelden gibt. Zur Leserschaft passend hier die Berichte zu Champagner und Champagner-Firmen.
Haben die Österreicher und Schweizer es besser? Beim Standard in Wien gibt es eine ausführliche Berichterstattung , die im Wesentlichen von Luzia Schrampf verantwortet wird. Bei der NZZ aus Zürich hat Wein einen hohen Stellenwert: Peter Keller ist der offizielle „Wein-Redaktor“ und sein „Wein-Keller“ eine der besten deutschsprachigen Wein-Seiten. Die NZZ hält sich sogar einen veritablen Master of Wine: der Weinhändler und MW Philipp Schwander schreibt als Gast vorwiegend zum Thema Bordeaux. Bei den meisten anderen alpenländischen Tageszeitungen sucht man wie bei dem Gros der bundesdeutschen Publikationen vergeblich nach einem Wein-Zuständigen.
Besucher aus Italien, Frankreich oder dem englischsprachigen Raum wundern sich oft, daß es in deutschsprachigen Periodika so wenige Wein-Kolumnen gibt. Sind die Deutschen keine Genießer? Oder liegt es daran, daß Weinkritik oder Weinjournalismus in Deutschland nur eine kurze Geschichte und keine Tradition in der Presse hat? Es wäre interessant, dieser Frage einmal nachzugehen.
Aber auch dort, wo bisher die Weinkolumne einfach dazugehörte, in den USA und Großbritannien, werden immer mehr Weinautoren wegrationalisiert. Jancis Robinson berichtete im Mai bei einer Tagung in Sydney über die neuesten Entwicklungen und Entlassungen bei der LA Times, San Francisco Chronicle und der britischen Sunday Times unter der Überschrift „Wine journalists – endangered species„. Robinson sieht zum einen ökonomische Gründe: Wein ist „Randthema„, zum zweiten die Unterordnung unter den Vertrieb „wer zahlt (der Anzeigenkunde), schafft an“ und drittens sieht sie einen Qualitätsverfall bei den Autoren: zuviele Artikel gleichen schlichten Einkaufszetteln.
Die Zeitungs-Krise wirkt als Beschleuniger: Journalismus, der Inhalte recherchiert und so erzählt, daß der Nicht-Fachmann es versteht und auch noch unterhalten wird, dieser Qualitätsjournalismus kostet auch beim Wein Geld und ist sehr individuell. Beides paßt in Krisen-Zeiten nicht. Das mag der Grund sein, warum zwar viel zum Thema Wein geschrieben wird (immerhin ist das schöne Getränk ja unverzichtbares Element des Lifestyles der Mittelklasse geworden), aber gleichzeitig Wein als Qualitäts-Thema in der Presse immer mehr Boden verliert.
Eine superspannende Lektüre zur Zeitungskrise ist das neue Buch von Stephan Russ-Mohl: ”Kreative Zerstörung -Zum Niedergang und zur Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA”. Da werden die Mechanismen der Krise klar, man versteht warum welche Themen wie bearbeitet werden oder gleich verschwinden und warum auch das Internet für FAZ, Bild, Welt und Co kein Ausweg ist.
Pingback: Tweets die Tageszeitungen: Wieviel Wein darf noch sein? erwähnt -- Topsy.com
Pingback: Welche Presse will der Wein?