Ein Blogpost auf dem Weinakademie Blog wird in den ersten Tagen nach der Veröffentlichung 500 bis 600 Malgelesen. Es gibt einen oder vielleicht gar keinen Kommentar dazu.
Das gleiche Thema auf Facebook: ein Posting erreicht 438 User. Fünfen gefällt das, 3 diskutieren. Es gibt am Ende 8 oder 10 Kommentare.
Was ist mit den 600 Leuten, die den Artikel gelesen oder zumindest angelesen haben, mit den 430 Facebookern, die nicht reagiert haben? Sind die alle mit dem einverstanden, was sie dort gelesen haben? Interessiert es sie? Haben sie eine Meinung dazu? Oder haben sie es sofort weggeklickt, weil es überhaupt nicht das war, was sie suchten?
Schwierig zu wissen – vielleicht gehen wir aber auch von einer falschen Annahme aus: muss tatsächlich jeder, der Soziale Medien nutzt, gleich auch Stellung beziehen und sich äußern? Muss er nicht – auch auf Facebook oder G+ oder unter den Bloglesern gibt es eine schweigende Mehrheit.
90 – 9 – 1 daran habe auch Soziale Medien nichts geändert
Das Phänomen ist bekannt und hinreichend analysiert: es wurde bereits Anfang der 90er Jahre beobachtet. Jakob Nielsen wies 2006 darauf hin, dass es auch in allen Studien zur Online-Nutzung zu finden ist. Georg Kolb hat es so zusammengefaßt:
90% der Nutzer sind stille Beobachter („lurkers“) (d.h. sie lesen, schauen zu, aber tragen nichts bei)
9% tragen von Zeit zu Zeit etwas bei, haben aber sonst andere Prioritäten
1% der Nutzer beteiligt sich viel und bringt die meisten Beiträge hervor: dabei kann es so aussehen, als hätten sie sonst kein Leben, weil sie Ereignisse oft schon innerhalb von Minuten kommentieren.“
Kalter Kaffee? Kolb hat im gleichen Artikel gefragt, wie repräsentativ angesichts dieser Relationen die geäußerten Kommentare, Meinungen oder Kritiken sind. Ist es nicht gefährlich, sich auf diese Meinungen zu verlassen? Was ist zum Beispiel mit Produktrezensionen, auf die ein Verbraucher seine Kaufentscheidung gründet?
Man kann weiter fragen: was ist mit Firmen, die aufgrund dieser Meinungen Strategien ändern? Politikern, die hastig unter dem vermeintlichen Druck der Öffentlichkeit neue Gesetze entwickeln? Einem Weingut, das sich auf hier geäußerte Vorlieben einiger weniger Kunden oder Kritiker verläßt?
Die größte Herausforderung
Kolb hat daraus zweierlei abgeleitet: es gehe erstens darum, zu verstehen, wie die „9 + 1% „die schweigende Mehrheit beeinflußt und zweitens Wege zu finden, die Schweigenden zu aktivieren. In der Kommunikation zwischen Politikern und Öffentlichkeit oder Firmen und ihren Mitarbeitern gibt es mittlerweile Systeme, die diese Aktivierung schaffen und das wirklich für alle Wichtige fokussieren.
Für Alle gilt: vorsichtig umgehen, mit dem was aus dem Netz kommt. Aufmerksam reinhören ist wichtig, Frühindikatoren erkennen und trotzdem das, was da kommt, nicht überbewerten. Versuchen die „schweigende Mehrheit“ aus der Reserve zu locken, indem man einfache Angebote für Reaktionen schafft: Liken ist einfacher als zu kommentieren.
Und für Alle die tagtäglich hier veröffentlichen, posten und kommentieren: öfter mal an die 90% denken, auf dem Boden bleiben, den Ball flach halten. Was wir hier machen ist eine Veranstaltung unter Freunden, um im Facebook Jargon zu bleiben, und nicht die Welt.
10. Februar 2012 um 00:45
Das prinzipielle Problem ist unstrittig, aber es ist auch keines, das die Onlinemedien alleine betrifft. Ich erinnere mich an Redaktionen, in denen jeden Monat krampfhaft gesucht werden musste, ob man einen verwertbaren Leserbrief finden konnte. Sonst wurde er halt „getürkt“. Aber: Man kann die Ration passiv:aktiv sicherlich verbessern, wenn man seiner Publikation eine eindeutige Ausrichtung verpasst. Genaue Definition des Zielpublikums! Und da sehe ich auch bei Ihnen durchaus noch Potenzial.