Hohe Preise, anspruchsvolle Sortimente, ein wein-verständiges Publikum, Aldi und Lidl in einer Nebenrolle – die Schweiz erscheint einem deutschen Weinerzeuger oder -Händler wie eine Insel der Seeligen.
Stimmt dieses Bild – was kann man eventuell von der Schweiz lernen? Felix Christen (51) ist Oenologue und Betriebswirt und kennt die Verhältnisse in der Schweiz und Deutschland als Insider. Der Zürcher baute für das Migros-Tochterunternehmen Globus delicatessa das Weinsortiment auf, war von 2003 bis 2007 Einkaufschef bei HAWESKO in Hamburg und berät mit seiner Firma „winiconsult“ führende Schweizer Einzelhändler und Produzenten.
Was ist in der Schweiz anders? Hier sind nicht nur die Durchschnittspreise für Wein höher als in Deutschland – hier sind die Leute auch bereit, mehr Geld für Wein auszugeben. Der Pro-Kopfverbrauch ist mit 37 Litern immer noch vergleichsweise hoch. Die Ursache: Essen und Trinken hat einen anderen Stellenwert als in Deutschland – da haben die Schweizer mehr mit Franzosen und Italienern gemeinsam, als mit den Deutschen. Man geht gerne aus – man kocht auch gerne. Essen und Trinken sind ein Thema. Die Deutschen dagegen sind Urlaubs-Weltmeister und geben viel Geld für Autos aus. In meiner Hamburger Zeit habe ich festgestellt, daß viele Leute tolle Küchen haben, aber keine Zeit zum Kochen.
Wirkt sich das auch auf das Verhältnis zwischen Produzenten und Handel aus? Auf jeden Fall – Weinsortimente in Deutschland waren zumindest bis vor einigen Jahren sehr stark WKZ getrieben. Das heißt der Preis und die Konditionen stehen im Fokus, es wird zum Teil extrem hart verhandelt. Dabei ist der Handel sehr dominant.
Auch in der Schweiz wird verhandelt – aber eher partnerschaftlich. Man setzt sich zusammen und fragt sich, wie man gemeinsam den Bedürfnissen der Kunden am Besten entgegenkommt. Man kann sagen, Schweizer Sortimente sind mehr bedürfnisgetrieben. In Deutschland setzten die Hard-Discounter die Marken – zum Glück sind wir hier davon noch weit entfernt. Die Discounter liegen in der Schweiz bei etwa 5%.
Das es bei uns funktioniert ist vielleicht auch eine Mentalitätsfrage – wir Schweizer haben es ja mit der Qualität und der Liebe zur Konkordanz.
Was können die Deutschen eventuell von den Schweizern lernen? Die Konkurrenz über den Preis ist für alle tödlich – auch für den Handel – da kann man nicht gewinnen. Wenn man gleichberechtigt an einem Tisch sitzt, partnerschaftlich miteinander umgeht und gemeinsam nach Lösungen sucht, kommen bessere Konzepte dabei heraus, die Produkte werden besser und auch der Kundennutzen ist besser. Erste Ansätze sieht man in Deutschland bei den Selbstständigen EDEKA oder REWE Kaufleuten: da hat ein Strategie-Wechsel stattgefunden. Statt um den Preis geht es um die Qualität und das Einkaufserlebnis. Das wird auch von deutschen Konsumenten honoriert.
Der Preis steht für die Befriedigung von Grundbedürfnissen – Erlebniseinkauf eher für Genuss. Und da ist der Kunde dann bereit, mehr auszugeben.
Reisen bildet und bringt neue Ideen. Was sollte man sich als Erzeuger oder Händler bei einem Schweiz-Besuch anschauen? Vorbildlich sind die Lebensmittelabteilungen von Globus und Manor, auch Coop ist sehenswert. Im Discount lohnt ein Besuch bei Denner – ein klares Sortiment, auch beim Wein eher nach Qualitäts- als nach Preiskategorien gestaffelt. Die Denner Cru-Aktionen sind für deutsche Verhältnisse fast auf Fachhandelsniveau.
Übrigens: Hans Heer, der bei Harrods in London, dem Food Emporium in New York und beim Kaufhof maßgeblich für die neuen Erlebnis-Einkauf-Konzepte steht, kommt ursprünglich von Globus aus der Schweiz.
23. Juli 2012 um 11:15
Grüezi Herr Christen
Von Ihren Fähigkeiten haben wir bei Globus noch Jahre lang profitiert. Ich war 2 Jahre an der Bahnhofstrasse (2008-2010) Das waren strapazen. Als wir dann zum Flaschen einräumen um 6.00 antreten mussten,quitierten ich und 3 Kollegen. Dass Globus den Hausleiter entlassen haben, und 2011 10% hinter Budget abgeschlossen haben, ist publiziert.
Danke für Ihre Analyse. Bin heute in Rapperswil bei Manor für Spirits und Wein zuständig. Leider hat uns Frau Beutler 2011 verlassen und versucht es bei Denner.
Endlich jemand der Klartext spricht. Vielen Dank. Den deutschen Kunden zuliebe habe ich gewagt Weine ins Sortiment zu nehmen die weit über 50 Fr liegen. Die danken es mit regelmässigen Einkauf und positiven Feed Backs.
Wünsche Ihnen einen schöneren Sommer als bisher.
Weinige Grüsse
Ernesto Meng
Dipl.Sommelier SFS/ASSP
Weinacademiker WSET i.A.
Pingback: Clos Vougeot 1928