Gerade ist die Berliner Weinmesse zu Ende gegangen. In den knapp drei Tagen wurde sicher wieder ein Besucherrekord aufgestellt. Schon seit Jahren gehört die Publikumsmesse in den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof zu den größten Weinevents überhaupt – letztes Jahr wurden 30.000 Besucher gezählt.
1995 im vergleichsweise bescheidenen, aber stilvollen Ambiente des Wilmersdorfer Logenhauses gestartet, war die Messe eine Art Leistungsschau der Berliner Weinhändler. Jeder lud seine Kunden ein und man hatte bei Tastings, Seminaren und Veranstaltungen ein Wochenende Spaß miteinander.
Weingüter oder Händler
Dann änderte sich das Konzept Schritt um Schritt: der Veranstalter nahm immer mehr Erzeuger hinzu, die sich direkt an die Berliner Weinfreunde wandten und hier eine Chance sahen, neue Kunden zu gewinnen oder einmal im Jahr an einem zentralen Ort für ihre Berliner Kunden da zu sein. Aktuell ist die Messe eine fast reine Erzeuger-Veranstaltung – für Händler ist das neue Konzept wenig attraktiv, weil die Erzeuger gleich nebendran stehen.
Etliche Mitglieder des heutigen Berliner Weinbundes waren einst Mit-Initiatoren der Weinmesse. Seit einigen Jahren veranstalten die 10 unabhängigen Weinbundmitglieder jeweils im Herbst ihre eigene Messe – noch immer nach dem ursprünglichen Konzept.
Auch diese Veranstaltung ist mit ein paar Hundert Besuchern gut besucht. Hier findet sich anspruchsvolles und zahlungsbereites Fachhandelspublikum, während die Atmosphäre im Tempelhofer Flughafen eher Volksfestcharakter hat, die unvermeidlichen Begleiterscheinungen inbegriffen. Der Veranstalter der Berliner Weinmesse kündigt jetzt eine weitere Messe gleichen Zuschnitts in Saarbrücken an.
Weinmessen-Boom geht am Fachhandel vorbei
Das beschriebene Hauptstadt-Szenario enthält viele Elemente der aktuellen bundesweiten Weinmessen-Landschaft und weist auf das selbst verschuldete Dilemma hin, in dem der Fachhandel steckt:
- Die Verbraucher lieben Wein+Food-Veranstaltungen, Beispiele auf ganz unterschiedlichem Niveau: eat&style, die Slow food Messen oder wein-plus convention
- Das Geschäft mit den Weinmessen hat sich professionalisiert und wird heute von Firmen gemanagt, die damit ihr Geld verdienen – Beispiele auch hier auf ganz unterschiedlichem Niveau: Forum Vini, Weber Messe (mit 15 Veranstaltungen), WMS mit Wein am Main und Weinstyle Hamburg oder Vinalia mit Veranstaltungen in Hannover, Hamburg und Nürnberg
- Bei den Veranstaltungen werden in erster Linie Erzeuger präsentiert, die neue Wege im Direktvertrieb suchen
- Der Fachhandel tut sich schwer mit gemeinsamen Veranstaltungen – Beispiel Nacht der guten Weine
Fakt ist, der Weinmessen-Boom geht am Handel vorbei. Dabei hätten regionale Weinmessen, die vom Handel veranstaltet werden, durchaus Erfolgs-Potential. Einkaufserlebnis für die Kunden, Bühne für den einzelnen Händler und vor allem größere Aufmerksamkeit für das Thema Wein in der Öffentlichkeit wären nicht von der Hand zu weisende Vorteile.
Das Risiko ist, anders als bei einem gewerblichen Aussteller, eher gering: wenn jeder seine Kunden einlädt, kommen gleich beim ersten Mal genug Besucher um die kritische Mindest-Präsenz in Bezug auf Kosten und Öffentlichkeitswirksamkeit zu erreichen.
Eigenbrötelei versperrt neue Wege
Die Berliner Weinbund-Leute zeigen, wie es geht. Was spricht dagegen, in Ballungsräumen oder Großstädten solche Veranstaltungen durchzuführen? Vielleicht die so oft zitierte Individualität und Eigenwilligkeit der Händler?
„Mit einzelnen Kollegen ginge das schon – aber mit den meisten eben nicht“, so ein Händler im Ruhrgebiet. Die von ihm erwähnten Kollegen sehen das genau so – gemeinsam ist schwierig. Man erkennt die Notwendigkeit, möchte etwas machen, ist aber unfähig, über den eigenen Schatten zu springen.
Lieber überlässt man das Feld anderen: der EDEKA-Händler Zurheide mietet in Essen das Colosseum-Musical-Theater und holt per Bus-Shuttle die Kunden in seinen Märkten im Ruhrgebiet ab. Volles Haus – zufriedene Gesichter bei Veranstalter und Ausstellern.
Dabei kann alles so einfach sein…
Dabei kann es so einfach sein: in München geht das Wein-Insel Konzept in die zweite Runde. Die Ex-Amazon-Mitarbeiterin und Wein-Marketingfrau Nicola Neumann hatte 2013 im Glockenbachviertel am Rande der Innenstadt Weinhändler überzeugt, bei einer Art Tag der offenen Tür mit gemeinsamer Werbung und PR mitzumachen. An den ersten Wein-Insel-Tagen wurden in den beteiligten Fach-Geschäften über 1.000 Besucher gezählt.
Im März 2014 zieht das Konzept weiter in verschiedene andere betuchte Münchner Stadt-Viertel. Allerdings will man auch in München Ketten wie Jacques‘, Mövenpick oder VINO nicht dabei haben – Abgrenzung scheint im Weinhandel ungeschriebenes Gesetz zu sein. Dabei könnten gerade die Big-Player durch ihre Reichweite nicht unerheblich zum Gelingen beitragen.
Höchste Zeit, Vorurteile über Bord zu werfen
Im Übrigen, den über 250 Weingütern, die an der Berliner Weinmesse teilgenommen haben, kann man es in Zeiten eines schwächelnden Fachhandels nicht übel nehmen, wenn sie den direkten Weg zum End-Kunden suchen.
Im Fachhandel ist es höchste Zeit für neue Konzepte. Da sind sich alle einig. Voraussetzung dafür ist unter anderem auch, dass man – Beispiel Weinmessen – irrationale Ängste abbaut, alte Vorurteile über Bord wirft und neue Formen der Zusammenarbeit sucht.
Bei der PROWEIN werden wir zusammen mit WEIN+MARKT auf dem Prowein Forum (Halle 7.1) in 45 Minuten einige interessante Ansätze aus dem Fachhandel vorstellen. Schon mal vormerken:
Sonntag 23.03. um 16 Uhr
Prowein Forum ( Halle 7.1)
Perspektiven für den Fachhandel – Best Practice
25. Februar 2014 um 10:47
danke für diese gewohnt kritische Analyse des IST-Zustands. Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels: http://www.weinentdecker-werden.de
Solidarität in der Gruppe kann sich für den einzelnen lohnen! (s.a. GENERATION RIESLING Bewegung)
6. März 2014 um 14:12
Sehr interessanter Link… Werde mir das heuer im September mal anschauen.